Der Herzberger Wunderstein

Zeitung für den Kreis Schweinitz Nr. 92, Sa. 04.08.1923
Der Herzberger Wunderstein
Sage von O. H. (Otto Horeck)

Etwas abseits von den malerischen Baulichkeiten des Augustinerklosters zu Herzberg stand vor vielen Jahrhunderten ein alter Grabstein, der als wunderwirkend galt.
Man hatte diesen Stein einst gegen die klösterlichen Regeln auf dem Grabe des im Alter von 113 Jahren verstorbenen Augustinermönches Frater Fridolin errichtet als Dank für die köstlichen Elixiere, die der fromme Bruder mit einem aus den Säften elsterländischer Pflanzen, besonders des Kalmus, gezogenen unvergleichlichen Wohlgeschmack herzustellen und zur Bekämpfung aller möglichen Krankheiten freigebig und erfolgreich anzuwenden verstanden hatte. So mochte es gekommen sein, daß sich der Glaube an die Wunderkraft, die man den Tränklein des Mönches nachgerühmt, allmählich auf sein Grabmal übertragen hatte, das von den Abergläubischen, die sich gegen Krankheit schützen wollten, gewöhnlich einige- mal umschritten wurde.
Als im Jahre 1506 die Universität Wittenberg, der Pest wegen, die in diesem Orte furchtbar wütete, nach dem gesünderen Herzberg, der nächsten bedeutenden Stadt, die zugleich eine wehrhafte Festung und durch Mauern, Tore und Türme geschützt war, verlegt wurde, lernten auch die Wittenberger Studenten den "Wunderstein", diese alte berühmte Herzberger Merkwürdigkeit kennen, die auch von zahlreichen Fremden, die ihr Weg durch die Stadt führte, besucht und - benutzt wurde.
Als aufgeklärte Leute machten sich die Herren Studiosi, allerdings mit Ausnahme der acht Herzberger, die in diesem Semester an der Universität studierten über die "Kalmuskanzel" und ihre abergläubische Gemeinde weidlich lustig, ohne dadurch jedoch dem Ansehen des Males und seiner Benutzung merklichen Abbruch tun zu können.
Daher stellten sie eines Nachts neben den Stein eine Tafel, die folgende spöttische Aufschrift zeigte:
Wer drey mal diessen steyn umwallt, Wird ueber hundert jare alt.

Diese Tat sahen viele Herzberger, abergläubischen und andere, besonders aber die Händler und Handwerksmeister, welche durch die fremden Besucher des Steines oft Nutzen gehabt hatten, der für die Zukunft jetzt gefährdet erschien, als eine Herausforderung an. Sie rächten sich nun dadurch, dass sie den Spottvers in das schon stark verwitterte Grabmal einhauen ließen und ihn so zu einer äußerst wirkungsvollen Empfehlung für ihren Wunderstein machten, deren Ursprung sie mit großem Behagen auf "die erleuchtetsten Geister der hochgelahrten Universität Wittenberg" zurückführten.
Es hätte nicht der Angriffe der Studenten bedurft, um die Herzberger später, bei ruhiger Betrachtung der Angelegenheit erkennen zu lassen, daß sie in der Hitze des Gefechtes mit ihrer Tat, der man auch den Vorwurf der Unehrlichkeit machte, etwas zu weit gegangen waren. Gern hätten sie diesen Fehler verbessert, wußten aber nicht wie sie es machen sollten, zumal sie ihren "Sieg" über die Wittenberger, auf den sie nach wie vor stolz waren, auf keinen Fall in einen Triumph der Studenten übergehen lassen wollten.
Da fand Blasius Schenkendorf, einer derjenigen, die Herzberger Kinder, aber auch Wittenberger Studenten waren, einen Ausgleich, der den Humor der Begebenheiten fortsetzte und diese zu einem versöhnlichen Abschluß geleitete. Schenkendorf machte eine Ergänzung zu dem ehemaligen Spottverse, die er geheim hielt, und mit Bewilligung des regierenden Bürgermeisters in einer rätselartig verstellten Schrift und unter geheimnisvollen Umständen in die Rückseite des Wundersteins einschrieb.
Die neue Inschrift lautete:
T. B.
RED REVSSA PS. NEDTS
BLES H. CISOS D. NU T.B.
RETSREHRO v. TH. CIN
RESL LA FRUNHCO
D.
Ueber ihren Ursprung und Sinn zerbrachen sich die Angehörigen der Universität und alle sonstigen Schrift- und Sprachkundigen, die sich mit der Deutung beschäftigten, nicht weniger den Kopf, als die von großer Neugier gepeinigte Bürgerschaft.
Endlich wurde, da weder die Studenten noch andere Personen durch ihre Bemühungen zu der gewünschten richtigen Lösung des Rätsels gekommen waren und einigen besonders ernsten Forschern schon Schaden an ihrem Verstande drohte, das Geheimnis gelüftet.
Es bestand lediglich darin, daß die Schrift rückwärts, beim letzten Buchstaben beginnend, gelesen werden müsse. Und so erfuhr man nun, daß die kühne Verheißung, die auf der Vorderseite des Steines also lautete:
"Wer drey mal diessen steyn umwallt, Wird über hundert jare alt."
auf der Rückseite des Males durch eine Bedingung eingeschränkt wurde, welche hieß:
"Doch nur, falls er nicht vorher sterbt, und so sich selbst den Spaß verderbt." -
Diese Deutung hatte niemand erwartet. Alles lacht und der Streit zwischen der Bürgerschaft und den Studenten , die sich zwischen Elster und Labine gemeinsam nun recht wohl fühlten, war zu Ende.
Der Stein aber wurde durch die Inschriften noch berühmter. Viele Reisende bezeichneten die Stadt nach ihm, sogar als "Herzberg am Wunderstein", und die Bürger hielten ihn als alte, liebe mit vielen heiteren Erinnerungen verknüpfte Kuriosität ihrer Stadt hoch in Ehren, auch noch als die Reformation seinen Nimbus als Wundertäter bereits stark erschüttert hatte.
Erst den wilden Wogen des dreißigjährigen Krieges ist es gelungen, den seltsamen Stein aus Elsterherzberg, seiner alten Heimatstadt, hinwegzuschwemmen. Ein berühmter General der kaiserlichen Armee soll ihn den Herzbergern abzukaufen versucht und, als das nicht gelungen war, auf eine listige und gewaltsame Art geraubt haben, um ihn lediglich für seinen eigenen Bedarf an Lebensverlängerung im Garten seines Schlosses im fernen Lande Böhmen wieder aufzustellen.
Wie zuverlässig verlautet, wird bald eine Nachbildung dieses Steines erfolgen und zur Aufstellung gelangen.



Der Herzberger Wunderstein auf einer gelaufenen Ansichtskarte von 1925

Zeitung für den Kreis Schweinitz Nr. 93, Di. 07.08.1923
Herzberg, 6. August.

Wir veröffentlichten dieser Tage die Sage vom Herzberger Wunderstein. Eine Nachbildung dieses Steines hat inzwischen im erweiterten Kurbadgarten Aufstellung gefunden. Ermöglicht wurde die Beschaffung dadurch, daß die Landsmannschaft Herzberg (Elster) und Umgebung zu Berlin die Mittel zur Verfügung stellte, die erforderlich waren, um einen von der städtischen Bauverwaltung bereitwillig hergegebenen alten Sandstein die wesentlichsten Merkmale des sagenhaften Wundersteines zu verleihen. Nun kann jedermann die Nachbildung dieses Steines, der seinen Ursprung der Sage nach einem Studentenstreich zu verdanken hat und lange, lange Jahre eine "berühmte Kuriosität" und "ein ganz eigenartiges Wahrzeichen" der alten Elsterfestung gewesen ist, näher kennen lernen. Der Stein, der nicht nur dem heimischen Sagenschatze entnommenen Humor verbreiten, sondern durch seinen Hinweis auf die fernen Tage, da Herzberg, wenn auch nur vorübergehend, Universitätsstadt war, das Interesse für die lange wechselvolle Geschichte unseres Heimatortes wecken helfen will, sei dem Schutze des Publikums hiermit empfohlen! - Einen besseren Zugangsweg wird der Stein noch erhalten.




Der 1. Aufstellungsort des Wundersteins auf einer gelaufenen Ansichtskarte von 1926


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