Großes
Theater in Herzberg (Herzberger Rundschau,
17.07.2017)
Herzberg. Zweimal haben die Herzberger Theaterlaien am Wochenende ihr
Reformationsspiel "Mein Licht - Der Aufbruch der Anna zu Herzberg"
aufgeführt. Die Resonanz war überwältigend.

Arm gegen reich. Hoffnung in die Reformation mit Anna (hier Chiara Dechering),
ihrem Mann Götz (Marco Hammer, Mitte) gegen die Bewahrung des Alten
mit Kaufmann Fuchs (Ulf Lehmann r.). Im Hintergrund der Kaufmannssohn
(Levi Schmidt). Foto: Sven Gückel/svg1
Das war einfach grandios. Zweieinhalb Stunden Theater im Herzen der
Stadt, und auf der Bühne standen ausschließlich Herzberger.
Leute, denen man täglich begegnen kann. Als Chef des Seniorenzentrums,
als Lehrerin, als Gärtner, Schüler am Gymnasium, Sänger
im Chor, Zweiradhändler, Elektromeister oder Fußballtrainer.
Nicht einer der Akteure hat professionell etwas mit dem Theater zu tun.
Es darf aber schon verraten werden: So mancher hat Blut geleckt. Doch
dazu später.
Das Elbe-Ester-Land hat sich in den vergangenen drei, vier Jahren regelrecht
in das Reformationsjubiläum "reingearbeitet". Die intensive
Beschäftigung mit der eigenen Geschichte hat (nicht nur in Herzberg)
so einiges zutage befördert, was den Blick auf die Reformation
vor der eigenen Haustür geschärft hat. Doch was damit anfangen?
Die Herzberger hatten, inspiriert vom Mittelaltertheater zur Soester
Fehde in der Partnerstadt, eine zündende Idee. Sie wurde vor etwa
vier Jahren, wie so oft bei solchen Dingen, bei einem guten Glas Wein
geboren. Kulturamtsleiterin Karin Jage, die damalige Pfarrerin Jutta
Noetzel (sie war am Freitag zur Premiere gekommen) und Fehde-Regisseur
Kai Schubert haben das Theaterprojekt ausgetüftelt. Schubert brachte
das Stück dann zu Papier. "Die Frage war, was wir erzählen
wollen. Es sollte nicht einfach nur die Reformationsgeschichte in Herzberg
sein. Da kam mir die Idee mit der Anna", sagt er. Schubert erfand
eine ganz persönliche Story um die Herzbergerin Anna im 16.Jahrhundert
und stellte sie mitten hinein in die große Reformationsgeschichte
um Luther, Melanchthon, Kurfürst Friedrich und Co.
Drei Jahre lang hat der Regisseur mit den Herzberger Laienakteuren an
dem Stück gearbeitet. Das Ergebnis hat selbst die größten
Optimisten verblüfft.
Heike Drobner-Dechering hatte man im Vorfeld die Hauptrolle der erwachsenen
Anna sicher zugetraut. Als Musiklehrerin und Orchesterleiterin am Gymnasium
ist sie in der Kunst zu Hause. Die Inbrunst und Glaubwürdigkeit,
mit der sie die Anna verkörperte, forderten den Szenenapplaus geradezu
heraus.
Mit theatralischem Talent nicht erwarteten Ausmaßes glänzten
auch Ulf Lehmann als fieser reicher Kaufmann Fuchs, Jens Ott als Luther,
Volkmar Tietze (!!!) als Melanchthon, Chiara Dechering (toll) als junge
Anna, Marco Hammer als ewig betrunkener und stotternder Gastwirt, Holger
Strieg als Lehrer oder Thorsten Jachalke als Pfarrer Wagner. Alle Nichtgenannten
seien um Verzeihung gebeten. Aber fast noch mehr als über die Erwachsenen
staunte die Menge über die Kinder auf der Bühne. Einfach verblüffend,
wie selbstbewusst die erst siebenjährige Sonja Dechering das Findelkind
Anna spielte.
Kai Schubert hat auch die Theatergruppe der Elsterwerkstätten und
den Chor pro musica in das Stück integriert. Sieben Herzbergerinnen
übernahmen die Rolle als Bäuerinnen und Bürgerinnen.
25 Gymnasiasten waren in das Geschehen mit "eingebaut", ebenso
zahlreiche Darsteller in kleineren Nebenrollen. Sie alle haben in 16
Szenen das Leben der Anna von 1506 als Kind bis 1579 als greise Frau
(Annerose Weigel) erzählt.
Dabei ging es um handfeste historische Fakten, angedockt an das Leben
der von allen Seiten verstoßenen Anna, die als junge Frau gern
lesen und verstehen lernen wollte. Anna hat viel Hoffnung in die Herren
Luther und Melanchthon und ihre Reformation gesetzt. Doch das Neue dauerte
der ungeduldigen und resoluten wie meist unglücklichen Frau viel
zu lange. Erst als ihr im hohen Alter ihre Urenkelin etwas vorlesen
konnte, erkannte sie, dass die neue Zeit doch etwas gebracht hatte.
Kai Schubert hat sich bei seinen Texten nicht an eine strenge Linie
gehalten. Mal waren es eng an das historische Geschehen angelegte Gespräche
wie der Streit zwischen Luther, Melanchthon und dem Kurfürsten
zum Schmalkaldener Krieg. Es gab aber auch deftig-flappsige Biertischreden.
Köstlich wurde es, wenn Seitenhiebe in die Gegenwart zielten, wie
zum Schliebener Wein, der beim reichen Kaufmann nicht gut wegkam, oder
zu den Münzfreunden, "die ihr Geld selber machen". Ob
der Satz "Egal, ob die Welt aus den Fugen gerät, in Herzberg
ändert sich nichts." nur für das Mittelalter gedacht
war, konnten die Zuschauer irgendwann für sich selbst entscheiden.
Ihr Urteil über das Reformationsspiel aber haben sie sehr schnell
und einmütig gefällt. Die Theatercrew durfte in minutenlangen
stehenden Ovationen baden. "Wir sind sehr zufrieden und glücklich,
dass so viele Leute gekommen sind und ihnen das Stück gefallen
hat", sagte Kai Schubert nach der ersten Aufführung. Zu den
Zuschauern gehörte am Freitag bei einem gemütlichen Bier auch
Landrat Christian Heinrich-Jaschinski. (Bürgermeister Michael Oecknigk
war am Samstag da.) Auf die Frage, ob das Herzberger Theaterstück
nicht eine der herausragendsten Veranstaltungen zum Reformationsjubiläum
in Elbe-Elster gewesen sei, meinte der Landrat: Es sei das Tollste,
was er bisher gesehen habe. Und das Projekt sei auch super für
den Zusammenhalt.
Damit hat er den Nagel wohl zumindest getroffen. In das Reformationsspiel
waren viele Akteure einer neuen Generation in Herzberg integriert, die
die Geschicke der Stadt zunehmend in die Hand nehmen will. Somit war
der Aufbruch der Anna vielleicht auch ein Aufbruch für die Stadt.
In puncto Theater jedenfalls sieht das so aus. "Hier ist eine tolle
Truppe zusammengewachsen. Einige haben schon gefragt, was wir nächstes
Jahr machen", sagt Kai Schubert.
In einigen Wochen gibt es ein erneutes Treffen aller Akteure. Und dabei
wird man auch darüber reden, ob das Feuer, das die "Anna"
entfacht hat, in Herzberg weiterglüht.
Beide Vorstellungen zum Reformationsspiel waren mit je 500 Besuchern
bis auf den letzten Platz ausverkauft. Foto: ru
Birgit Rudow
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