Herzberg
09.10.2004 (Quelle: lr-online)
Als Detektiv in Sachen Heimatgeschichte
Herzberg. Mittwoch, 18 Uhr. Die Geschäfte schließen, doch eine
gar nicht so kleine Gruppe Menschen versammelt sich gerade jetzt vor dem
Haus Nr. 4, in dem sich der Lebensmittelmarkt befindet. Mag sein, dass manch
ein Passant verwundert darauf aufmerksam wurde, aber die heitere Stimmung
der Versammelten nicht deuten konnte und kopfschüttelnd weiterging
- oder aber stehen blieb und das Geschehen neugierig mit verfolgte. In letzterem
Fall erlebte er, wie ein in Herzbergs Heimatgeschichte fehlendes Puzzleteil
ergänzt werden konnte - in Form einer Tafel, die am Haus angebracht
wurde. Die Aufschrift besagt, dass Dr. Eugen Rahnenführer, Arzt und
Numismatiker, in diesem Haus im Jahr 1886 geboren wurde.
Ein
Kippertaler von 1622.
Mit
der Geschichte dieser Münzen beschäftigte sich Rahnenführer
wissenschaftlich und hinterließ ein Standardwerk unter dem Titel
"Die kursächsischen Kippermünzen" , das in der Bibliothek
eines Numismatikers nicht fehlen darf. Eugen Rahnenführer
(1886 - 1958). Mit Staunen und Freude lauschen die Heimatfreunde, was
Horst Gutsche in der Torgauer Straße über das Leben von Eugen
Rahnenführer erzählt. Jetzt ist das Geheimnis gelüftet:
Hier im Haus Nr. 4 in der Torgauer Straße in Herzberg wurde der
bekannte Arzt und Numismatiker geboren. Ulf Lehmann enthüllt die
von den Herzberger Münzfreunden gestiftete Tafel. Foto: Fotos (2)
Gabi Zahn
Bleibt zu erwähnen, dass selbst die Vereinsmitglieder vom Herzberger
Kultur- und Heimatverein, die einen Großteil der Gruppe von Zuhörern
ausmachten, bis vor kurzem diesen Namen selbst noch nie gehört hatten.
Im Zuge ihres Wert zu schätzenden Vorhabens herauszufinden, welche
bedeutenden Persönlichkeiten in vergangener Zeit in Herzberg geboren
wurden oder in der Elsterstadt logierten - und vor allem in welchen Häusern
- ist man auch auf den Arzt Eugen Rahnenführer aufmerksam geworden.
Und für Horst Gutsche, den nimmermüden Heimatforscher, war es
geradezu faszinierend zu erfahren, dass dieser Mann auch ein bekannter
Numismatiker war, und damit dem selben Hobby frönte, wie hierzulande
die Herzberger Münzfreunde, deren Vorsitzender eben Horst Gutsche
ist.
Mit nahezu detektivischem Vorgehen hat der Heimatfreund Stück um
Stück eines Knäuels entwirrt, bis der Faden - also der Lebensweg
des Eugen Rahnenführer - offen vor ihm lag. Und in Herzberg hatte
alles angefangen. Gutsche berichtet: "Unbekannt war, wo dieser Mann
in Herzberg geboren wurde. So forschte ich im Standesamt in alten Eintragungen
und machte eine überraschende Entdeckung: Tatsächlich fand ich
den von mir gesuchten Namen, doch nicht den Geburtsort." Auch die
Standesbeamtin habe erstaunt reagiert, als in der Spalte "Geboren"
der Vermerk "in der Wohnung" stand.
So suchte Horst Gutsche kopfschüttelnd und dennoch schmunzelnd über
diese Merkwürdigkeit einen anderen Weg und hatte die Idee, in den
Wählerlisten der damaligen Zeit nachzuschauen. Mit der aufgeregten
Entdeckerfreude, die sich vor jedem neuen Schritt vor allem auch zu Hause
zeigte, steckte er auch seine Frau an, die ihm seit vielen Jahrzehnten
auch bei seinem Hobby treue Weggefährtin ist.
Der tiefe Atemzug, der dann seine Lunge füllte, als er im Städtischen
Archiv tatsächlich einen Hinweis fand, wurde sogar noch spürbar,
als er vor wenigen Tagen in der Redaktion davon erzählte: "Ich
wusste, dass es im Jahr 1887 eine Wahl in Herzberg gegeben hatte. Und
in diesen Unterlagen stand in einer Spalte der Wählerlisten auch
der Name Ferdinand Rahnenführer. Es war der Vater von Eugen."
Doch nur einen Moment lang glaubte er, am Ziel zu sein und auch zu erfahren,
wo denn die Familie damals gelebt hatte. Vermerkt war das zwar, doch als
Hausnummer war die Zahl 276 zu lesen. Wo in aller Welt mochte in Herzberg
eine so lange Straße sein? Horst Gutsche kam die Erleuchtung sehr
rasch: "Mir war aus früheren Recherchen bekannt, dass alle Häuser
durch eine preußische Verordnung im Jahr 1898 von der Ziffer 1 an
neu nummeriert wurden."
Das war der Zeitpunkt, wo er als "Detektiv in historischer Mission"
auf den Nachlass seines Freundes und Mitstreiters Kurt Hartwich zurückgreifen
musste und an dessen Wohnungstür bei seiner Witwe klingelte. Bewegt
erzählt er: "Elfi hat keinen Moment gezögert, und es dauerte
gar nicht lange, da präsentierte sie mir genau das, was ich suchte:
Das Haus mit der früheren Nummer 276 ist das Gebäude in der
heutigen Torgauer Straße 4."
Mit dieser Erkenntnis und dem Wissen, dass es sich bei dem Autor eines
bekannten numismatischen Werkes um den in Herzberg geborenen Eugen Rahnenführer
handelt, war der "Fall" gelöst. "Naja, nicht ganz"
, fügt Horst Gutsche schnell an. Denn unbekannt ist bisher, wo jene
Münzsammlung verblieben ist, die Eugen von seinem Vater nach dessen
Tod im Jahr 1911 geerbt hat. "Diese muss wohl auch Anlass dafür
gegeben haben, dass sich der junge Mann fortan und Zeit seines Lebens
neben der Medizin mit der Numismatik beschäftigt hat" , mutmaßt
Horst Gutsche. Der Herzberger Heimatforscher hat sich jetzt aus dem Internet
Personen mit dem Namen "Rahnenführer" herausgesucht und
führt mit einigen bereits Korrespondenz. Es wäre dem Heimatverein,
den Münzfreunden, vor allem aber dem "Detektiv" Horst Gutsche
zu wünschen, dass er auf diese Weise noch für eine Überraschung
sorgen kann.
(Die Leser des neuen Heimatkalenders dürfen sich übrigens über
einen Artikel von Horst Gutsche freuen, in dem er ausführlich auf
das Leben und Wirken von Rahnenführer eingeht.)
Gut
zu wissen Arzt und Numismatiker
Im Alter von acht Jahren verließ Eugen Rahnenführer Herzberg,
besuchte in Halle das Gymnasium, studierte Medizin und praktizierte als
Psychiater. Er war in Kliniken des sächsischen und mitteldeutschen
Raumes tätig, wirkte pflichtbewusst als leitender Arzt, wurde Regierungsobermedizinalrat.
Erst nach seinem Tod hat man sein umfangreiches numismatisches Manuskript
als Buch herausgegeben.
Von Gabi Zahn
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