Es wurde
"gerammt" und "geholzt"
Angesichts einiger unschöner
Auseinandersetzungen auf den Fußballplätzen der Kreisliga
des Elbe-Elster-Kreises werden immer wieder Stimmen besonders älterer
Fußball-Veteranen laut, die behaupten, das hat es zu unseren
Zeiten nicht gegeben.
Aber Hand aufs Herz, es hat zu allen Zeiten Überschreitungen
des Regelwerkes gegeben, es wurden unberechtigt Spieler eingesetzt
und auch das leidige Problem der Schiedsrichterentscheidungen gibt
es nicht erst seit den letzten Jahren. Nicht als Aufforderung zum
unsportlichen Verhalten, sondern vielmehr als Besinnung auf die
sportlichen Ideale wie Fairness, Disziplin, Kameradschaft und Achtung
des sportlichen Gegners soll dieser Artikel verstanden werden.
Es sei hier über einen Streit anlässlich eines Fußballspieles
aus der Gründungszeit des VfB Herzberg berichtet. Die gegenseitigen
Anschuldigungen und Vorwürfe wurden damals in der lokalen Presse
ausgetragen und konnten eigentlich nur dadurch der Vergessenheit
entrissen werden. Fast jedem aktiven Fußballer werden ähnliche
Geschichten in Erinnerung sein, und man wird sich bei der Lektüre
den einen oder anderen Schmunzler nicht verkneifen können.
Um auch nach fast 100 Jahren nicht alte Rivalitäten wieder
"hochzukochen", sei der damalige Gegner des VfB Herzberg
mit "Schienbein 04" bezeichnet.
Im Schweinitzer Kreisblatt, höchst
wahrscheinlich aus dem Jahr 1910, erscheint folgender Spielbericht:
"Ein unerwarteter Sieg der Bewegungsspieler. VfB I Herzberg
schlägt Schienbein 04 mit 6 : 2".
"... Noch vor Beginn des Spieles zeigte sich, dass man eine
nicht ganz friedliche und mit wichtigen Bestimmungen der Fußballregeln
eingehend vertraute Mannschaft vor sich hatte. Schon die Anfangszeit,
welche der Hitze wegen etwas spät gewählt war, musste
geändert werden. Zu neuen Zwistigkeiten kam es wegen der beiden
auswärtigen, mitspielenden Mitglieder des VfB. Dieses Mitwirken
der zwei Leute wurde von Schienbein 04 als unzulässig bezeichnet,
jedoch hatte man ganz vergessen, dass ihre Mannschaft fünf
auswärtige Mitglieder (einer aus Torgau und vier aus Berlin)
als Spieler mitführte. -
Nachdem alles erledigt, begann das Spiel mit dem Anstoß von
Schienbein 04. Was man nun sah, übertraf selbst die schlimmsten
Vorstellungen, denn es wurde "gerammt" und "geholzt".
Trotzdem konnten sie auch damit der regelrechten Spielweise der
hiesigen Mannschaft nicht beikommen, denn schon in der 13. Minute
wurde von letzterer der erste Ball in das gegnerische Tor geschickt.
Wenn auch bald von den Gästen nachgezogen wurde, so bekamen
diese doch kurze Zeit darauf schon den 2. Ball in ihr Tor und nach
dem Ausgleich den dritten, so dass 3 : 2 gewechselt wurde. Die Meinungen
der Zuschauer, die in der Pause ausgetauscht wurden, deckten sich
mit dem unparteiischen Handeln des Schiedsrichters, der einen schweren
Stand hatte, vollständig. Sehr bald nach beendeter Pause begann
Schienbein 04 ein gegen alle Regeln des Sports gehendes Spiel, und
besonders der Mittelstürmer legte ein Spiel an den Tag, was
jeder anständigen Konkurrenz Hohn sprach.
Das Spiel war kaum abgepfiffen, so sah und hörte man nichts
mehr von den Gästen, nicht einmal den sportlichen Gruß
erwiderten sie, dennoch werden ihnen die Herzberger, der Verein
sowohl als auch die Zuschauer, ein "dauerndes Andenken"
bewahren. ...
Dass sie das Retourspiel gegen Schienbein 04 ablehnen, brauche ich
wohl nicht erst zu sagen, denn um sich schließlich verkrüppeln
zu lassen, fährt man nicht nach ..."
In einer folgenden Ausgabe der gleichen Zeitung liest man unter
"Eingesandt":
"Der Artikel über den Sieg des VfB Herzberg bedarf unstreitbar
einiger Berichtigungen. Viel zu wünschen ließ der Schiedsrichter
übrig. Wir wollen ihm keine Ungerechtigkeit nachreden, vielmehr
sein regelwidriges Handeln auf seine Unkenntnis des Fußballsports
zurückführen. Fast jeder Pfiff erfolgte erst auf Zuruf
der Spieler - natürlich der Herzberger, Ruhe zu gebieten, war
er überhaupt nicht imstande. Dass der VfB seine Unfähigkeit
selbst eingesehen hat, beweist der Umstand, dass unsere feindlichen
Spieler in der Pause uns einen anderen Schiedsrichter vorschlugen.
Ferner war der VfB mit einem Hallenser und einem Cottbuser Britannia-Mitglied
vertreten. Jeder Sportskenner muss zugeben, dass derartige Leute
wohl als Ehrenmitglieder, nicht aber als auswärtige Mitglieder
fungieren können. Im Gegensatz hierzu ist unser auswärtiges
Mitglied aus Torgau nur Mitglied von Schienbein 04. Dass wir vier
Berliner mitführten, ist eine Lüge und bitten wir gefälligst
um Nachweis. Warum verschweigt der VfB ferner, dass von unserem
Kapitän schon nach 30 Minuten das Spiel abgebrochen werden
sollte, als es 2 : 2 stand, weil wir ungerecht behandelt wurden.
Erst durch Zureden des VfB entschlossen wir uns zum Weiterspiel,
allein aus dem Grunde, um das Publikum nicht an der Nase herumzuführen.
Dass die Mitglieder des VfB auch nicht gerade zart besaitet waren,
beweist der Umstand, das unser Kapitän, als er seiner Pflicht
gemäß - das Recht Schienbein 04 verteidigen wollte, angedroht
wurde: " Halt nur dein M..., sonst gibt's noch was anderes".
Ein anderes Mitglied wurde durch die Worte eines Mitgliedes "Du
kriegst noch'n paar in die Fr..." beruhigt. Dass solche Ausdrücke
taktvoll sind, wird wohl niemand behaupten. Wir sind gern bereit,
die betreffenden Leute zu nennen. Und dass das Retourspiel abgelehnt
wird, hat wohl seinen Grund in der Furcht vor dem Schienbein 04er
Sande, auf dem es allerdings etwas anders "stieben" dürfte.
Fußball-Club Schienbein 04."
Dem fügte der VfB Herzberg folgende Bemerkungen hinzu:
"Die vorstehenden Berichtigungen, die der FC Schienbein 04
dem VfB Herzberg werden lässt, möchten wir doch noch um
einige Zeilen ergänzen. Wollen wir über die Vorwürfe,
die dem Schiedsrichter gemacht wurden, nur ganz hinweggehen, so
müssen wir aber doch sagen, dass nicht er den Regeln entgegen
handelte, sondern ausschließlich der Schienbein 04 anscheinend
wenig Ahnung hat, was Fußball-Spielen heißt. Zur Erlernung
dieses möchten wir ihm die Anschaffung der Fußball-Regeln
des Deutschen Fußball-Bundes empfehlen. Wenn nun in seiner
Mannschaft nicht vier Berliner vertreten waren, freut es uns umsomehr,
jedoch muss man dann nicht hier solche Äußerungen fallen
lassen, und das haben einige Mitglieder getan.
Nun fragt Schienbein 04, warum nicht erwähnt wurde, dass ihr
Kapitän das Spiel nach 30 Minuten habe abbrechen wollen und
nur auf Zureden der Herzberger dasselbe fortgesetzt hätte.
Dieses bezeichnen wir als die Unwahrheit. Weitergespielt wurde darum,
weil die meisten Leute Schienbein 04's nicht die Meinung ihres Kapitäns
vertraten und ihnen ein 3. Tor aufgedrückt worden war, um nun
noch zu retten, was es noch zu retten gab. Wenn nun einige Ausdrücke
gefallen sind, die nicht am Platze waren, so schmerzen sie wohl
nicht so wie die Fußtritte und Rippenstöße, die
die Schienbein 04er nachher anwandten, um ihren Zorn über eine
derartige Schlappe zum Ausdruck zu bringen. ... Hiermit ist für
uns die Sache erledigt. Verein für Bewegungsspiele Herzberg."
Jürgen Schulze