Vor 90 Jahren: Wahlmarathon in Herzberg

Elbe-Elster-Rundschau, Herzberg, 28.03.2009
Vor 90 Jahren: Wahlmarathon in Herzberg
Herzberg. Das Jahr 2009 gilt in Deutschland als das Wahljahr schlechthin. Vor 90 Jahren haben die damaligen Herzberger in den ersten Monaten des Jahres 1919 einen ähnlichen Wahl-Marathon erlebt, der erinnerungswürdig ist.
Erstmals in der deutschen Geschichte konnten Männer und Frauen ab dem 20. Lebensjahr gleichberechtigt in geheimer und direkter Wahl für die Partei und die Personen stimmen, die ihnen als geeignet erschienen. Gewählt wurde am 19. Januar zur Nationalversammlung, am 26. Januar zur Preußischen Landesversammlung (Herzberg gehörte zu Preußen, seinerzeit bedeutendster deutscher Einzelstaat) und am 2. März zur Stadtverordnetenversammlung.
Wie im gesamten Deutschen Reich stellten sich auch in Herzberg neben den beiden Arbeiterparteien SPD und USPD (die eben gegründete KPD beteiligte sich nicht an den Wahlen) die vier wichtigsten bürgerlichen Parteien mit ihren Kandidaten zur Wahl. Das waren die Deutsche Demokratische Partei, die Christlichdemokratische Volkspartei (Zentrum), die Deutsche Volkspartei und die Deutschnationale Volkspartei, alles Parteien, die unter anderen Namen mehr oder weniger ihre Vorgänger im Kaiserreich hatten.
Den Auftakt für den verhältnismäßig kurzen Wahlkampf gab in Herzberg eine parteiübergreifende Wählerversammlung am 3. Januar im Saal des "Schützenhauses". Etwa 1000 Frauen und Männer, darunter viele der in Herzberg und Umgebung untergebrachten Soldaten, folgten interessiert dem Vortrag des Herzberger Amtsgerichtsrats Dr. Levie über das den meisten völlig neue Thema "Wahlgesetz, Wahlpflicht, Wahlordnung".
Herzberger Wahlkampf
Nach den sachlichen Ausführungen des angesehenen Juristen traten meist auswärtige Redner der politischen Parteien auf, wobei es zu einem Eklat kam, der zum Auszug der USPD-Anhänger führte, die im Hotel "Zur Weintraube" weiter tagten. Offenbar verlief danach die Versammlung in einer mehr deutschnationalen Atmosphäre, die sich nicht allein aus den Ausführungen des Redners dieser Partei, sondern auch aus der Versammlungsleitung durch den Militärarzt Dr. Ludwig ergab. Von ihm war die Initiative zur Gründung eines im Großen Saal des Rathauses eingerichteten Militärischen Wahlausschusses ausgegangen, der "aufklären" und den "Kampf gegen USPD und Spartakus" (mit Letzterem war die KPD gemeint, die es zu diesem Zeitpunkt in Herzberg nicht gab) führen wollte.
Überhaupt stand der Wahlkampf in Herzberg wie im gesamten Kreis Schweinitz auffällig im Zeichen der Aktivitäten der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP). Sie war die Nachfolgerin der in unserer Region bis 1918 sehr einflussreichen Konservativen Partei. Ihren Programminhalt umschrieben die Deutschnationalen (so auf ihrer Wählerversammlung am 16. Januar im "Schützenhaus") hauptsächlich mit den Begriffen national, deutsch, christlich, deutscher Wille, deutsches Wesen, Privateigentum. Merkwürdig die Zurückhaltung der Herzberger SPD im Wahlkampf, während die USPD am 9. Januar in der Gaststätte "Siegeskranz" eine sehr gut besuchte Wahlversammlung durchführte.
Liberal und demokratisch denkende Herzberger Gewerbetreibende, Angestellte, Beamte und Intellektuelle fühlten sich von dem Programm der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) als Partei einer demokratischen Mitte angesprochen: Für die "Herrschaft des ganzen Volkes", gegen die "Anstürme von rechts und links", zum "Wohle des Vaterlandes". Die politische Attraktivität dieser Partei für viele Herzberger belegte die überfüllte Wahlversammlung der DDP am Abend des 6. Januar im "Siegeskranz".
Wahltag und Ergebnisse
Am Sonntag, dem 19. Januar 1919, erwarteten zwei Wahllokale die 2515 Wahlberechtigten unserer Stadt: der Saal des renommierten Hotels "Zur goldenen Sonne" am Markt (heute Buchhandlung) für die Wähler des Stimmbezirks I und gegenüber im Rathaus der Saal für die Wähler des Stimmbezirks II. Wahlvorsteher im Stimmbezirk I war Kreisarzt Dr. Geißler, sein Stellvertreter Stadtverordnetenvorsteher Karl Görner. Im Stimmbezirk II übten Rechtsanwalt Bergmann und Kaufmann Bruno Burckhardt diese Funktionen aus.
Die Wahlbeteiligung lag bei 84 Prozent. Überragender Wahlsieger wurde die Deutsche Demokratische Partei mit 1002 der abgegebenen Stimmen (48 Prozent). Bemerkenswert an zweiter Stelle die 663 Stimmen für die USPD, was auf eine fortschreitende Linksorientierung unter der Herzberger Arbeiterschaft schließen lässt. Darin äußerte sich wohl nicht zuletzt Enttäuschung über sozialdemokratische Regierungspolitik. So vermochte die SPD in Herzberg nach den 205 Stimmen für die Deutschnationale Partei erst auf dem vierten Platz lediglich 174 Stimmern für sich zu verbuchen.
Zählt man die auf die beiden Arbeiterparteien entfallenen Stimmen zusammen, so lagen diese mit 837 an zweiter Stelle. DDP und USPD/SPD verfügten so gemeinsam über 1839 Stimmen (73 Prozent). Das war eine deutliche Entscheidung unserer Vorfahren für die neue parlamentarische Demokratie und eine Absage an rechtskonservative Ideologien, wenn auch sicher aus unterschiedlichen politischen Erwägungen.
Von Prof. Dr. Horst Diere


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