Soldaten luden die Familien ihrer Quartierwirte zu einem heiteren Abend ein

Elbe-Elster-Rundschau, Herzberg 20.12.2008
Soldaten luden die Familien ihrer Quartierwirte zu einem heiteren Abend ein
Prof. Horst Diere hat für die RUNDSCHAU-Leser wieder einen historischen Beitrag verfasst. Diesmal geht es um den Weihnachtsmonat in Herzberg vor 90 Jahren.

Die Novemberrevolution hatte 1918 an die Stelle der Monarchie die Republik gesetzt. Welchen politischen und sozialen Charakter aber sollte der neue Staat tragen? Wahl einer bürgerlich-parlamentarischen Nationalversammlung oder "Alle Macht den Räten" - das war die Grundfrage, über die in Deutschland im November/Dezember vor 90 Jahren teils erbittert und bis hin zum Einsatz militärischer Gewalt gestritten wurde.
Diskussionen und Auseinandersetzungen darüber führten auch die Menschen in unserer Kleinstadt und dem ländlichen Kreis Schweinitz. Doch bei weitem nicht so zugespitzt wie in den Groß- und Industriestädten.
Überwiegend stand wohl von vornherein bei der Bevölkerung der Städte und Dörfer unserer Gegend fest, dass die politische und gesellschaftliche Neuordnung in die Hände einer aus Wahlen hervorgegangenen Nationalversammlung gelegt werden müsste. Genau eine Woche nach der Wahl des Herzberger Arbeiterrates im Gasthof "Zur Weintraube" tagte am Sonntag, dem 24. November, am gleichen Ort eine Versammlung aller Soldaten, Kriegsteilnehmer und Arbeiterräte des Kreises Schweinitz.
Herzberg in der Zeit der RäteAus Wittenberg war ein Mitglied des dortigen A-und S-Rates gekommen, der die Versammelten auf "Gehorsam gegen die Obrigkeit und die be-stehenden Verordnungen" einschwor. Es bestand Einmütigkeit in der Auffassung, dass "Bürgerkrieg und Brudermord" und "bolschewistische Zustände" unbedingt vermieden werden müssten. Als notwendig wurde das Zusammenwirken aller Arbeiterräte des Kreises und dafür die Bildung eines engeren Ausschusses betrachtet.
Zu diesem Zweck fand am 5. Dezember eine Arbeiterratskonferenz des Kreises Schweinitz unter dem Vorsitz von Richard König statt. Er erläuterte dort die Tätigkeit des Herzberger Arbeiterrates und betonte die Notwendigkeit, "in Ruhe und Ordnung die Ernährungsfrage sowie die Arbeitslosen-, Lohn- und Wohnungsangelegenheiten mit den Behörden zu regeln". Alle Bürger, Handwerker, Gewerbetreibenden und Landwirte müssten dabei mit dem Arbeiterrat zusammenarbeiten, der sich in seinem Selbstverständnis zunehmend offenbar als Interessenvertretung der gesamten Einwohnerschaft betrachtete. In den von der Konferenz gebildeten Vollzugsausschuss der Arbeiterräte des Kreises wurden König und Görner als Vertreter Herzbergs gewählt.
In Herzberg gab es außer dem Arbeiterrat weitere Räte. Während die Beamten ihre Vertreter in den Arbeiterrat entsandten, organisierten die Angestellten und davon wieder getrennt die Privatangestellten eigene Räte. Auf den Dörfern entstanden Bauernräte, die - gesteuert von dem stellvertretenden Landrat von Pappenheim - einen Kreisbauernrat bildeten. Hier wird sichtbar, wie der Begriff "Räte" seines ursprünglichen politischen Inhalts beraubt und missbraucht wurde.
Der Krieg war verloren. Das Millionenheer wurde demobilisiert. Fast jeden Tag kehrten Ende November/Anfang Dezember Herzberger Soldaten in die Heimat zurück. Die Vaterstadt begrüßte sie im Schmuck der alten kaiserlichen Fahnen.
Soldaten in der StadtAls Kreisstadt wurde Herzberg zu einem Stützpunkt der Demobilisierung. Der Stab der II.Ersatzabteilung der Feldartillerie-Regimenter 33/34 bezog mit über 50 Mann, von der Bürgerschaft "lebhaft und froh" begrüßt, in Bürgerhäusern Quartier. Büros für die Demobilisierung wurden in der Bürgerschule und im Gemeindehaus eingerichtet. Nach und nach rückten die aufzulösenden Truppen an, die ihre zeitweiligen Quartiere auch in den umliegenden Dörfern fanden. Wenn ursprünglich die Quartierwirte zum Teil die Soldaten selbst verpflegten, so wurde das bei der schwierigen Ernährungslage für viele auf die Dauer zu einer nicht tragbaren Belastung.
Das Militär übte auf das gesellschaftliche Leben in Herzberg einen erheblichen Einfluss aus.
Trotz mancher Probleme, bei deren Lösung sich der Arbeiterrat mit seiner vom Sozialdemokraten Klose geleiteten Kommission Wohnungs- und Einquartierungswesen aktiv einschaltete, bestand zwischen den Herzbergern und den Soldaten ein gutes Verhältnis.
Soldaten, die für längere Zeit in der Stadt lagen, luden die Familien ihrer Quartierwirte für den 2. Dezember zu einem "heiteren Abend" in den Saal des Schützenhauses ein, um sich für die "äußerst liebevolle Aufnahme" zu bedanken. Eine abschließende Geldsammlung "zum Besten der Kriegswaisen der Stadt Herzberg" erbrachte 165 Mark, die der Ausgestaltung einer Weihnachtsfeier für diese Kinder dienten.
Advent und WeihnachtenZum ersten Male seit 1913 ging Herzberg einer Friedensweihnacht entgegen. Allmählich kam in der Vorweihnachtszeit trotz mangelnder Waren das Geschäftsleben wieder in Gang.
Geschäftsleute kehrten aus dem Krieg und dem Heeresdienst zurück: Bernhard Klottig, Buchbinderei und Vergoldungsanstalt, Buch-, Papier- und Schreibwarenhandlung; Otto Müller, Bäckermeister; Alfred Eule, Schlossermeister und "militärisch geprüfter und bestellter Waffenmeister" - um nur einige Namen zu nennen, die älteren Herzbergern vielleicht noch geläufig sind. Sie alle boten in Zeitungsanzeigen ihre möglichen Arbeiten in "bester Qualität", "zuverlässig", "gut und solide" an.
Die Schaufenster der Stadt waren weihnachtlich ausgestaltet und liebevoll geschmückt. Doch der "Silberne Sonntag" - der zweite verkaufsoffene Adventssonntag am 15. Dezember - brachte den Geschäftsleuten nicht den erhofften Gewinn. Groß war immer noch die Not. Alles zum Leben Notwendige war knapp und rationiert.
Als "Weihnachtsgabe" erhielt der Kreis Schweinitz eine Sonderzuteilung an Mehl und Zucker, wovon 12 Zentner (ein Zentner sind 50 kg) und eine "entsprechende Menge" Zucker auf die Stadt Herzberg entfielen. Was aber wäre ein Weihnachtsbaum ohne Kerzen? Sie wurden am 5. Dezember zwischen 10 und 13 Uhr im Rathaussaal "gegen Vorlage der Petroleumkarten" zum Preis von 23 Pfennige pro Stück ausgegeben.
Viele Kinder litten Not in Herzberg. Zu ihren Gunsten veranstaltete der Gesangverein "Euterpe" am Sonntag, dem 22. Dezember, abends in der Gaststätte "Siegeskranz" ein Wohltätigkeitskonzert Weihnachtliches Wetter die Herzberger stimmte am 23. Dezember mit Sturm und reichlich Schnee auf das Fest ein. Es wurde empfindlich kalt, was bei der ungenügenden Versorgung mit Kohlen die kargen Vorräte der Haushalte noch schneller schrumpfen ließ.
Am Heiligen Abend und am 1. Feiertag besuchten zahlreiche Herzberger die Kirche zu den Gottesdiensten. Zum ersten Male ertönten von den Bläsern auf dem Turm wieder Choräle über den Dächern der Stadt. An beiden Feiertagen gab es in den Gaststätten "Siegeskranz" und "Aufs Wiedersehen" (Altherzberg) von vielen Herzbergern besuchte Weihnachtsfeiern des Militärs. In der "Weintraube" feierte der Arbeiter-Gesangverein Weihnachten. Während der Feiertage herrschte "überall reges militärisches Leben", wie das "Kreisblatt" berichtete.


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