Elbe-Elster-Rundschau,
Herzberg
28.11.2008
Richard König führte den Arbeiterrat an
Die Novemberrevolution 1918 in Deutschland - wie ist sie in Herzberg vonstatten
gegangen? Welche politischen Impulse gingen von ihr aus? Wer engagierte
sich im Arbeiterrat? Der in Herzberg geborene Historiker Prof. Dr. Horst
Diere, der in Halle lebt, hat die Ereignisse vor 90 Jahren für die
RUNDSCHAU-Leser aufgearbeitet und zusammengefasst.
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Ausgehend vom Aufstand der Matrosen im
kaiserlichen Kriegshafen Kiel sprang in den ersten Novembertagen des Jahres
1918 der Funke der Revolution fast auf alle Städte des Deutschen
Reiches über. Landesweit bildeten sich Arbeiter- und Soldatenräte,
die die sofortige Beendigung des längst verlorenen Krieges und die
Abdankung des Kaisers verlangten.
Desinformation, Gutgläubigkeit und KaisertreueScheinbar unbeeindruckt
von diesen Ereignissen, rief in Herzberg der stellvertretende Landrat
von Pappenheim - Landrat v. Palombini war im August einem Herzinfarkt
erlegen - noch am 5. November die Bevölkerung des damaligen Kreises
Schweinitz zum wiederholten Male zur Zeichnung der 9. Kriegsanleihe auf,
weil man damit "dem Vaterlande nützt und zum Siege (!) verhilft".
Nur sechs Tage später, am 11. November, besiegelte der Waffenstillstand
von Compiegne die deutsche Niederlage im Weltkrieg 1914 bis 1918.
Doch bei vielen von den nicht einmal 4000 Einwohnern unserer Stadt müssen
die Worte des leitenden preußischen Kreisbeamten, der mit Sicherheit
die aussichtslose Lage des wilhelminischen Kaiserreichs besser kannte
als er eingestand, die erwünschte Wirkung erzielt haben, denn sie
zeichneten immerhin 555 100 Mark zur Deckung der Kriegskosten und alle
Einwohner des Kreises Schweinitz zusammen insgesamt 23 539 300 Mark!
Auf Beruhigung der Bevölkerung Herzbergs und des Kreises und auf
Bagatellisierung der Vorgänge in Kiel bedacht, hatte das "Kreisblatt"
erstmalig darüber am 8. November berichtet. In einer Zeit, die weder
Rundfunk noch Fernsehen kannte und in der das Telefon als Luxus galt,
war für die allermeisten Herzberger das "Schweinitzer Kreisblatt"
die einzige Informationsquelle. Erst am 9. November war in der Heimatzeitung
etwas über "Unruhen in Deutschland" zu lesen. "Ausschreitungen"
in Hamburg, Bremen, Lübeck und Kiel sowie die Gründung von Arbeiter-
und Soldatenräten wurden jetzt ebenso vermeldet wie "Ausschreitungen
des Militärs" im nahen Torgau.
Da Zeitungssendungen aus Berlin ausgeblieben und die Fernsprechleitungen
gestört seien, könne man über Ereignisse in der Hauptstadt
nichts mitteilen, hieß es in der Zeitung. Eben dort aber war Entscheidendes
geschehen.
Der 9. November in Berlin
und in Herzberg Unter dem Druck der Volksbewegung rief an diesem Tag in
Berlin Philipp Scheidemann - neben Friedrich Ebert Vorsitzender der SPD
- von einem Fenster des Reichstagsgebäudes die "deutsche Republik"
aus. Karl Liebknecht von der Spartakusgruppe, die zum linken Flügel
der USPD (Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands) gehörte,
proklamierte wenig später vom Balkon des Schlosses die "freie
sozialistische Republik". Mit diesen beiden Handlungen war das Ende
der Monarchie in Deutschland gekommen.
Zugleich begannen damit die Auseinandersetzungen um die politische und
soziale Gestaltung der neuen Republik, für die SPD und USPD als provisorische
Regierung einen "Rat der Volksbeauftragten" unter Friedrich
Ebert gebildet hatten.
Und in Herzberg? Es war Sonnabend und Wochenende. Viele Herzberger saßen
am Abend des für den weiteren Verlauf der deutschen Geschichte so
einschneidenden 9. November im Saal des "Schützenhauses"
(heute ein freier Platz am Anfang der Nordpromenade) und folgten einer
Vorstellung des neu gegründeten Theatervereins "Thalia",
der "durch humoristische Spiele von dem Alltagsleben ablenken"
wollte. "Keine Unruhen in Berlin", behauptete noch am 10. November
die Sonntagsausgabe des "Kreisblatts".
Da montags das "Kreisblatt" nicht erschien, konnten die Herzberger
erst am Dienstag, dem 12. November, davon lesen, zu welchen politischen
Umwälzungen die Revolution inzwischen geführt hatte. Fast schien
sie an unserer Stadt zunächst vorübergegangen zu sein, während
in Torgau, Wittenberg, Jessen, Liebenwerda, Elsterwerda und Falkenberg
Arbeiter-und (oder) Soldatenräte entstanden waren. Erst am Sonntag,
dem 17. November, kam es in Herzberg zu einer großen öffentlichen
Versammlung im Gasthof "Zur Weintraube" (heute: Torgauer Straße
7, neben dem Eiscafe Klaus) "über die Vorgänge in Deutschland".
Die Versammlung in
der "Weintraube"Trotz der kurzfristigen Einladung - sie erfolgte
über das "Kreisblatt" am Sonnabend für den Sonntag,
15 Uhr - konnte der Saal des Versammlungslokals die Teilnehmer kaum fassen.
Erstmalig waren ausdrücklich auch Frauen zu einer politischen Veranstaltung
eingeladen sowie Angehörige des Militärs, denen jede politische
Betätigung bislang untersagt war.
Weil Julius Hildebrandt, Sekretär der USPD in Halle und Mitglied
des Arbeiterrates dieser Stadt, nicht erscheinen konnte, sprach zum Thema
ein Mitglied des Torgauer Soldatenrates. Seine Ausführungen ließen
erkennen, dass er der Mehrheits-Sozialdemokratie angehörte. Ganz
im Sinne des inzwischen von Friedrich Ebert mit den alten Eliten aus Militär
und Verwaltung zur Beendigung der Revolution und für Wahlen zu einer
Nationalversammlung eingegangenen Pakts, verlangte der Redner, dass den
"Anordnungen der Behörden unbedingt Folge geleistet werden müsse".
Er warnte davor, die "gegenwärtige Regierung" - also den
Rat der Volksbeauftragten - in Frage zu stellen oder gar gegen sie vorzugehen.
Das war offenbar für die Mehrzahl der Versammlungsteilnehmer kein
Problem, denn ihre Diskussion konzentrierte sich vor allem auf "manche
Mängel und Wünsche" des Alltagslebens unmittelbar nach
Kriegsende. Dass man aber darüber jetzt öffentlich sprechen
konnte, war letztlich der von vielen Herzbergern wenig geliebten Revolution
zu verdanken, die auch ihnen unter anderem Versammlungs- und Redefreiheit
gebracht hatte.
Das wichtigste politische Ergebnis der Versammlung war die Wahl eines
siebenköpfigen Arbeiterrates. Sein Vorsitzender wurde der von Herzbergs
Arbeitern und Arbeiterfrauen geschätzte Konsumvereinsverwalter und
linke Sozialdemokrat Richard König, an dessen Wirken und spätere
konsequente antifaschistische Haltung der Name einer Straße in unserer
Stadt erinnert. Mitglieder des Arbeiterrates wurden Baumann, Krause, Robert
Klose, Adolf Lehmann, Stadtverordnetenvorsteher Görner und Mertens.
Für Herzberg gingen von der Versammlung in der "Weintraube"
wichtige politische Impulse aus. Herzbergs Arbeiter wurden vom Arbeiterrat
angeregt, "sich Organisationen anzuschließen, um ihre Interessen
wirksamer als bisher vertreten zu können", schrieb das "Kreisblatt".
Auch wollte der Arbeiterrat, "dass die Arbeiterklasse größeren
Einfluss in der Kommunalverwaltung erlangte". Dass dies im gesamten
Kreis nur bedingt und vorübergehend gelang, verdeutlicht eine Erklärung
des stellvertretenden Landrats von Pappenheim, der auf "Befragen
des Arbeiter- und Soldatenrates" bereit war, seine Dienstgeschäfte
weiterzuführen und die Bevölkerung "dringend zu Ruhe und
Besonnenheit" mahnte.
In loser Folge werden wir weitere Beiträge von Prof. Horst Diere
veröffentlichen.
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